»Verletzlich« ist das neue »Stark«

Gestern habe ich im Buchladen im Bahnhof in Bern mal wieder nach den Bestsellerlisten geschaut. Mich interessiert zwischendurch immer mal wieder, mit was der Mainstream sich gerade so beschäftigt. Und da musste ich bei der Sachbücher Bestellerliste wirklich stauen:

Auf Platz 1 der Bestsellerliste Sachbücher steht das Buch „Zusammen Arbeiten“. Gut – das ist vielleicht erstmal noch nichts Besonderes. Das Staunen kam dann erst beim Lesen darin. Und zwar darüber, wie wichtig darin das Thema „Vertrauen“ gewertet wird und vor allem, was die Basis von Vertrauen herstellt.

Kommt euch das nicht bekannt vor? 🙂

Ich finde schön, dass dieses Thema nun auf diese Weise in breite Bevölkerungskreise getragen wird …

Ein Buch von dem Finnen Mikael Krogerus und dem Schweizer Roman Tschäppeler. Beide leben inzwischen in der Schweiz.

 

Auszug aus dem Buch:
Mikael Krogerus | Roman Tschäppeler. „Zusammenarbeiten.“

„WARUM »VERLETZLICH« DAS NEUE »STARK« IST

Wenn Menschen gemeinsam etwas leisten sollen, müssen sie aufeinander zählen können. Einander vertrauen können. Vertrauen entsteht aber nicht von allein, man muss es aufbauen. Teambuilding. Die sicherste Art, Vertrauen aufzubauen: gemeinsam Abenteuer bestehen.

Das liegt daran, dass wir in Extremsituationen irgendwann aufhören, einander vorzuspielen, wir seien stark, ruhig oder wüssten Bescheid. Irgendwann legen wir unseren Panzer ab und zeigen unser »wahres« Gesicht. Wir zeigen uns verletzlich. Das sind extreme Momente. Niemand will sich gern schwach zeigen. Doch wenn wir es tun, geschieht etwas Erstaunliches: Es entsteht Vertrauen.

Der Vorgang wird manchmal Vulnerability Loop (Verletzlichkeitsschleife) genannt. Der Autor Daniel Coyle beschreibt es in seinem Buch The Culture Code (Anmerkung Andreas: „schaut mal rein, auch interessant“ 🙂 ):

Person A zeigt sich verletzlich. Person B erkennt das und zeigt sich ebenfalls verletzlich. Nun fühlt sich Person A weniger schlecht. Man einigt sich, dass es okay ist, verletzlich zu sein.

Entscheidend ist die Reaktion von Person B: Wenn jemand eine Schwäche zugibt und wir so tun, als hätten wir selber keine, wird Person A nie mehr eine Schwäche zeigen – und auch sonst niemand im Raum wird sich das noch trauen. Es entsteht eine Kultur der Härte. Wenn jemand eine Schwäche zugibt und wir so tun, als hätten wir selber keine, wird Person A nie mehr eine Schwäche zeigen – und auch sonst niemand im Raum wird sich das noch trauen. Es entsteht eine Kultur der Härte. Wenn wir hingegen ebenfalls Schwäche zugeben, trauen sich andere das auch. Es entsteht eine Kultur der Verletzlichkeit.

Zwischenfrage: Was ist so toll daran, wenn alle verletzlich sind? Ganz einfach: Weil wir uns dann trauen, in einer Gruppe Sätze wie diese zu sagen: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alleine schaffe. Kannst du mir helfen?« – »Hier ist eine total verrückte Idee!« – »Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe.« – »Ich habe mich geirrt.

„Verletzlichkeit ist keine Schwäche. Es ist die Quelle von Ehrlichkeit und Offenheit, aber auch von Inspiration und Kreativität.
Vertrauensbildung ist ein langsamer Prozess. Das gilt besonders dann, wenn frühere Teamkonstellationen durch einzelne schwierige Mitglieder oder toxische Führungskräfte gelitten haben. Ein Survivaltraining wird das nicht kitten. Man muss im Alltag Respekt, Freundlichkeit, Verbindlichkeit üben. Dafür ist die Verletzlichkeitsschleife ein guter Einstieg. Verletzlichkeit und damit Vertrauen können durch eine kleine Fragerunde mobilisiert werden: »Wie heißt du, und warum trägst du diesen Namen?«, oder: »Was war dein Lieblingsbuch als Kind?«, oder: »Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal getan?«. Solche im Grunde harmlosen Fragen vor dem Kick-off, Workshop, Meeting können die Stimmung in eine emphatische Richtung verändern.

Auszug aus: Mikael Krogerus | Roman Tschäppeler. „Zusammenarbeiten.“